Spielzeugwaffen sind weniger schlimm als ihr Ruf

Spielzeugwaffen faszinieren Kinder. Bei Erwachsenen sind sie umstritten. Es gibt aber einen Trend zur Enttabuisierung. Dieser wird getrieben von psychologischen Erkenntnissen und der Beliebtheit einer neuen Generation von Spielzeugwaffen.

Spiel ist nicht Realität

Viele Eltern stehen Spielzeugwaffen sehr skeptisch gegenüber. Sie wollen diese weder im eigenen Haus haben noch ihre Kinder anderswo damit spielen lassen. Der Kampfruf «Ich schiess dich tot» widerspricht dem idealisierten Bild vom unschuldigen Nachwuchs. Er lässt die Frage aufkommen, ob Erziehende mit Verboten und Ablenkungsmanövern reagieren sollen – oder dem fröhlichen Kriegsspiel einfach gelassen zusehen können.

Der Psychologe Siegbert A. Warwitz, der sich intensiv mit spielpädagogischen Fragen auseinandersetzt, stellt in seinem Buch «Vom Sinn des Spielens» fest, dass eine unbefangene Auseinandersetzung mit der Thematik «Kriegsspiel» angesichts der schrecklichen Realität von Krieg und Terror immer noch schwierig sei. Zur Bildung eines sachlichen Urteils empfiehlt er, sich zunächst klarzuwerden, was unter dem Begriff genau zu verstehen sei. Ob es schon ein Kriegsspiel sei, fragt Warwitz, wenn sich Kinder als Indianer verkleideten, mit Kriegsfarben bemalten und an den Marterpfahl stellten. Oder ob es ein Kriegsspiel sei, wenn ein Kind im Gelände einen Stock aufhebe, ihn zum Gewehr erkläre, auf ein anderes Kind ziele und rufe: «Peng! Du bist tot.» Bei Sportspielen wie dem Fussball werden ebenfalls kämpferische Begriffe verwendet. Auf den «Gegner» zu «schiessen», hat hier allerdings nichts Anstössiges mehr. Eine solche Unterscheidung zeigt die Präsenz kämpferischer Ideen im Spiel, aber auch, wie fliessend die Übergänge zwischen akzeptierten und deutlich umstritteneren Spielformen sind.

Spielzeugwaffe trug, aber trotzdem von einem Polizisten erschossen wurde, weil sich dieser durch die vermeintlich echte Waffe bedroht sah.

 

Regeln und Grenzen

Nötig ist es bei kriegerischen Spielen zudem, den Kindern die Regeln und Grenzen des Spiels klarzumachen. Dazu gehört, weder Menschen noch Tiere zu verletzen, Aussenstehende in Ruhe und Kinder, die nicht mehr mitmachen wollen, sofort ziehen zu lassen. Problematisch wird es, so Moser, wenn Kinder mittels Waffen Machtphantasien ausleben und Freude daraus ziehen, bei anderen Angst zu erzeugen. In solchen Fällen muss das Gespräch mit dem Kind gesucht werden.

Zentral ist auch der Rahmen, in dem die Spiele stattfinden. So ist es etwas anderes, ob sich die Kinder im Wald hinter dem Haus bzw. in den Quartierstrassen treffen oder ob das Ganze auf dem Schulhof stattfindet. Im Kanton Zürich etwa ist es verboten, Waffenattrappen mit in die Schule zu nehmen. Der Schulhof als sozialer Ort sei nicht für Spiele geeignet, die auf andere Kinder bedrohlich wirken könnten, meint Moser.

Eine spezielle Gruppe innerhalb der Kriegsspiele sind die digitalen Spiele. Zwar bleiben alle Handlungen auf den virtuellen Raum beschränkt, dafür aber können die Spiele umso brutaler gestaltet werden. Umstritten sind vor allem die Ego-Shooter-Spiele, bei denen der Spieler in einer frei begehbaren, dreidimensionalen Spielwelt agiert und mit Schusswaffen andere Spieler oder computergesteuerte Gegner bekämpft. Die vom Spieler gelenkte Spielfigur ist menschlich oder menschenähnlich. Medienpsychologen sind der Ansicht, dass diese Spiele die Menschen tatsächlich aggressiver machen, empirisch klar erwiesen ist das jedoch nicht. Kritisch ist laut Moser vor allem die hohe Simulationsprofessionalität der Spiele, die die Unterscheidung zwischen Realität und Spiel offenbar schwierig machen kann. Auffällig ist, dass sich Buben deutlich stärker für kriegerische Spiele und Spielzeugwaffen interessieren als Mädchen. Laut einer einschlägigen Studie besitzen 76 Prozent aller Buben Kriegsspielzeug und möchten 45 Prozent mehr davon haben. Bei den Mädchen haben nur 29 Prozent Kriegsspielzeug, und fast keines möchte mehr. Zu erklären ist das wohl damit, dass Waffen als «männlich» gelten. Sie sind attraktiv für Buben, die ihre Rolle und Geschlechtsidentität suchen. Zu dieser Erklärung passt auch, dass vor allem Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren gern mit Waffen spielen. Die Faszination geht nachher zurück. Zum klassisch weiblichen Rollenbild gehören Kampf und Waffen hingegen nicht. Mädchen leben Aggressionen meist versteckter aus.

 

Toleranz durch Erfahrung

Die Frage auch für tolerante Eltern bleibt dennoch, wie weit sie gehen wollen. Kaufen sie die kritischen Spielzeuge lieber selbst und behalten die Kontrolle, oder überlassen sie die Anschaffung aus Gründen der Psychohygiene lieber dem Götti oder der Gotte? Begleitet man die Kinder zur Schlacht in den Wald, um für die Einhaltung der Spielregeln zu sorgen, oder wagt man es sogar, die lokale Turnhalle für eine kriegerische Geburtstagsparty zu mieten? Anekdotische Evidenz zeigt, dass die Toleranz steigt, sofern Eltern wahrnehmen, dass die befürchtete Verrohung ausbleibt und doch immer wieder auch das Playmobil, die Puzzles oder der Fussball aus dem Schrank geholt werden.

Quelle: nzz.ch

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